Die internationale Community für freies Saatgut will Bäuerinnen und Bauern im Globalen Süden unterstützen. | 17. November 2020 | von Bella
Gemeingüter werden von Menschen geschaffen, die sie nutzen, schützen und weiterentwickeln. Jedes Gemeingut braucht eine Gemeinschaft. Und Saatgut braucht dafür eine internationale Community. 2018 berichteten wir von der Gründung der Global Coalition of Open Source Seed Systems (GOSSI), einem Bündnis von Organisationen aus aller Welt, die für freies Saatgut einstehen. Die Zusammenarbeit ist und bleibt spannend, denn so verschieden die Bedingungen in den einzelnen Ländern sind, so unterschiedlich sind auch die Schwerpunkte und Strategien der einzelnen Initiativen.
Gemeinsam ist den GOSSI-Mitgliedern die Vision von einer Welt, in der Saatgut frei genutzt, geteilt und gezüchtet werden kann. Das ist in Ländern wie Deutschland oder anderen Industrieländern Vergangenheit und Utopie zugleich. Im Globalen Süden dagegen ist der freie Zugang existenziell für Landwirtschaft und Ernährung. Hier stammt oft noch über 90 % des Saatguts aus bäuerlicher Züchtung, Vermehrung und Nachbau, oder es wird durch Schenkung, Tausch und Kauf im Dorf oder auf lokalen Märkten in der Region erworben.
Die GOSSI-Mitglieder sind weltweit aktiv – im Globalen Norden wie im Globalen Süden.
Die bäuerlichen Sorten sind häufig Ergebnis von Jahrtausenden menschlicher und natürlicher Selektion und daher an lokale Klima- und Bodenbedingungen sehr gut angepasst. Da bäuerliche Sorten meist weniger homogen und stabil als kommerzielle Sorten sind, können sie Schwankungen der Anbaubedingungen besser ausgleichen und sich an langfristige Veränderungen anpassen. Aus Sicht der Mitglieder von GOSSI ist bäuerliches Saatgut dringend notwendig, um die kommenden sozialen und umweltbedingten Herausforderungen für Landwirtschaft und Ernährungssicherheit zu bewältigen.
Doch bäuerliche Saatgutsysteme führen ein Schattendasein. Sie erhalten kaum öffentliche Unterstützung und werden durch nationale Saatgutgesetze und internationale Saatgutvereinbarungen eher behindert als gefördert. Viele Länder haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Gesetze zur Regulierung des Saatgutmarktes erlassen, um den globalen Handel zu vereinheitlichen und dabei die Rechte der privaten Saatgutwirtschaft gestärkt. Dabei wurden negative Auswirkungen auf die lokale, kleinbäuerliche Landwirtschaft in der Regel nicht bedacht oder billigend in Kauf genommen. So werden in etlichen Ländern der Handel und die Weitergabe von bäuerlichem Saatgut in die Illegalität gedrängt, obwohl dieses den größten Teil des verfügbaren Saatguts ausmacht und den international vereinbarten Farmers‘ Rights widerspricht.
Bäuerliches Saatgut ist vielfältig und unverzichtbar für die Landwirtschaft im Globalen Süden.
GOSSI will die Rolle der bäuerlichen Pflanzenzüchtung stärken und regionale Saatgutsysteme unterstützen, die abseits des mit Eigentumsrechten belegten Saatgutmarktes funktionieren. Das open-source Prinzip, welches Sorten als Gemeingut schützt, könnte dabei ein wichtiges Werkzeug sein. Mit einer open-source Lizenz beispielsweise könnten Bäuerinnen und Bauern ihre Sorten, die bisher eher open-access sind, vor Privatisierung schützen. Die rechtliche Absicherung als Gemeingut könnte Bäuerinnen und Bauern motivieren, ihre Züchtungsaktivitäten zu erweitern und mehr Saatgut für den regionalen Saatguthandel zu erzeugen. Denn für die Produktion und den Verkauf von open-source Saatgut ergeben sich vielfältige neue Möglichkeiten. So könnten die regionalen Saatgutsysteme gestärkt und der Zugang zu Saatgut deutlich verbessert werden.
Ob und inwieweit eine open-source Lizenz angewandt werden kann, lässt sich jedoch nur im Einzelfall beantworten. So sind die rechtlichen Rahmenbedingungen der Länder als auch die Situation und Ziele der Akteure im bäuerlichen Saatgutsektor sind sehr unterschiedlich. Die Zusammenarbeit bei GOSSI ermöglicht es, gemeinsam an dieser Frage zu arbeiten. Schon jetzt gibt es zahlreiche Ideen für Fallstudien in Ländern mit vermutetem Potenzial.
Mehr dazu in unserem Thesenpapier »Open-Source – ein Beitrag zur Stärkung bäuerlicher Saatgutsysteme?«.