Der Agrarkonzern produziert jetzt auch für den wachsenden Öko-Markt. Ist das Chance oder Gefahr für den Ökolandbau? | 21. Dezember 2021 | von Bella
Die letzten Jahre waren nicht leicht für Bayer. 2016 hatte der Chemieriese Schlagzeilen mit der umstrittenen Übernahme des US-amerikanischen Monsanto-Konzerns gemacht. Mit dem Kauf wurde Bayer zum »Weltmarktführer für Gemüsesaatgut«, erbte aber auch den Rechtsstreit um das vermutlich krebserregende Herbizid Glyphosat, der angeblich 125.000 Einzelklagen umfasst und den Konzern am Ende rund 16 Milliarden Dollar kosten könnte. Der Monsanto-Deal wurde aus Sicht vieler Aktionär*innen zum Albtraum. Ist das der Grund, warum Bayer künftig mehr auf Öko setzen will? Ab 2022 will Bayer jedenfalls auch ökologisch erzeugtes Gemüse im Sortiment haben – losgehen soll es mit Gurken, Tomaten und Paprika.[1]
Eine gute Nachricht, könnte man denken. Selbst wenn es nur zögerlich geschieht, müssen schließlich auch große Unternehmen Teil der Agrarwende sein, oder? Stig Tanzmann von Brot für die Welt hat da Zweifel. »Bayer hat in der Vergangenheit gezeigt, dass sie Märkte dominieren und auch definieren wollen. Sie haben mittlerweile viele Jahre Erfahrung in Sachen Saatgutpolitik und werden ihren Einfluss geltend machen, um Standards in Handel, Anbau und Testverfahren zu beeinflussen.« Diese Möglichkeit der Einflussnahme trifft auf einen Ökosektor, der in vielen Aspekten nicht klar und einheitlich geregelt ist. Die Öko-Verbände haben viele gute Forderungen, aber wenige gemeinsame Definitionen, und es gibt aktuell noch viel Spielraum in der Frage, welche Kriterien ökologisches Saatgut und die ökologische Pflanzenzüchtung erfüllen sollten.
Mais ist eine von zahllosen Nutzpflanzen, zu deren optimaler Anbauweise Saatgut-Konzerne und Öko-Verbände unterschiedliche Meinungen haben.
Ein Beispiel ist der Umgang mit Hybrid-Saatgut, das nach EU-Bio-Verordnung auch für den Ökolandbau zulässig ist, aber in den Verbänden sehr kontrovers diskutiert wird. Ein Verlust an innerer Qualität, die fehlende Nachbaufähigkeit, ethische Fragwürdigkeit und der Verlust an Vielfalt werden als Nachteile angeführt. Verbände wie Demeter, Naturland oder Bioland haben deshalb zum Teil Ausschlussregelungen für Hybride.[2] Bayer wäre nicht der erste Anbieter von Hybrid-Saatgut für den Öko-Markt, könnte jedoch aufgrund seiner Marktmacht zukünftige Entscheidungen mitprägen. Hier schätzen viele die gesetzliche Regelung über die neue Bio-Verordnung der EU als zu schwach ein, was letztendlich der ökologischen Züchtung gefährlich werden könnte. Konzerne wie Bayer können den Markt mit ihren Produkten fluten, könnten z.B. bei Hybrid-Saatgut im Ökolandbau eigene Vorstellungen durchsetzen.
In den Verhandlungen der neuen EU Bioverordnung hatten die Ökoverbände gefordert, dass ökologisches Saatgut auch aus ökologischer Züchtung stammen solle. Leider wurde die alte Regel beibehalten, nach der Saatgut nur unter ökologischen Bedingungen vermehrt worden sein muss – einjährige Kulturpflanzen über eine, mehrjährige über zwei Vegationsperioden um als Ökosaatgut zu gelten.[3]
Eine verpasste Chance, und die Gefahr der Verwässerung des Attributs ökologisch und seiner Ziele ist groß. Doch die Öko-Verbände können auch eigene Regeln aufstellen. Strenger geht immer. Wichtig ist hier, im Kampf für die Stärkung der Öko-Züchtung möglichst viele Akteur*innen zu vereinen und auch den Aspekt der Gemeinnützigkeit zu stärken, den eine konsequente Ökozüchtung haben muss. Dazu gehört auch der Verzicht auf geistige Eigentumsrechte an Sorten, um den freien Zugang zu Zuchtmaterial zu sichern und so eine klein- und mittelständische Züchterlandschaft zu ermöglichen. Auch dies ist ein wichtiger Aspekt für die Erhaltung von Kulturpflanzenvielfalt. In der EU-Verordnung findet das Thema keine Berücksichtigung, und auch bei den Verbänden ist es bisher eher eine Randnotiz: Von den Großen fordert nur Demeter offiziell eine Entwicklung hin zu mehr Saatgut als Gemeingut.[4] Konsequent ist hier der Schweizer Verein Bioverita, für den der Verzicht auf geistige Eigentumsrechte eine Bedingung für die Zertifizierung von Sorten unter dem eigenen Siegel ist.[5]
Wegweisend für ein Umdenken dafür könnte jedoch die neue Regelung zur Nutzung heterogenen Materials sein. So sind Populationen seit kurzem durch die EU-Bio-Verordnung für den Markt zugelassen, die aufgrund ihrer Heterogenität nicht als Sorte geschützt werden können.[6] Dadurch bleiben sie für alle frei zugänglich. Gleichzeitig können sie, wie im übrigen auch jede klassische Sorte, die frei von Sortenschutz und Patenten ist, mit der Open-Source-Lizenz als Gemeingut geschützt werden. Saatgut als Gemeingut ist wichtig, um dringend benötigte Kulturpflanzenvielfalt zu stärken und somit die Ziele einer echten ökologischen Landwirtschaft zu erreichen. Auch dafür gibt es Geschäftsmodelle, aber wahrscheinlich liegen sie jenseits der Vorstellungskraft großer Saatgut-Konzerne. Daher ist es sicher ratsam, den Markteintritt von Bayer kritisch zu begleiten. Mindestens ebenso wichtig ist es jedoch, sich gemeinsam für eine neue Saatgutpolitik einzusetzen, die klein- und mittelständische ökologisch orientierte Züchtungsbetriebe stärkt und so für mehr Diversität auf den Äckern sorgt.
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»Vielfalt gibt's nicht zum Nulltarif«
»Zukunftsfähige Landwirtschaft: Helfen Populationen?«
Quellen
[1] Pressemitteilung von Bayer zum Vertrieb von ökologischem Saatgut [LINK]
[2] Richtlinien von Demeter [LINK], Bioland [LINK] und Naturland [LINK] zu Hybridsaatgut
[3] Regelung für Saatgut in der neuen EU-Bio-Verordnung [LINK]
[4] Seite von Demeter zu Saatgut als Gemeingut [LINK]
[5] Reglement für Bioverita-Zertifizierung [LINK]
[6] Heterogenes Material in den Durchführungsbestimmungen der EU-Bio-Verordnung [LINK]