Von der Politik erkannt: Genetische Vielfalt ist der Schlüssel | 29. September 2020 | von Bella
Die Landwirtschaft in Deutschland leidet unter dem dritten Dürresommer in Folge [1].
Ob Getreide-, Gemüse- oder Futtermittelanbau, überall fehlt das Wasser. Bei anderen Extremwetterlagen treten in bisher nicht gekanntem Ausmaß Pflanzenkrankheiten und Schädlinge auf. All dies führt zu Ernteausfällen, und die sind auf Dauer nicht nur existenzbedrohend für die Landwirt*innen, sondern für uns alle. Überall auf der Welt nehmen Wetterextreme zu, und es steht außer Frage, dass die Landwirtschaft sich anpassen muss, um auch in Zukunft die Ernährung der Weltbevölkerung zu sichern.
Das Dilemma der Pflanzenzüchtung
Die Pflanzenzüchtung spielt hier eine wichtige Rolle, befindet sich aber in einem Dilemma. Der Mainstream setzt auf ertragreiche Sorten mit großer genetischer Einheitlichkeit und geringer Veränderbarkeit. Die einzelnen Pflanzen sollen möglichst homogen sein, das heißt sich wenig voneinander unterscheiden und möglichst stabil sein, damit ihre Eigenschaften über viele Generationen gleichbleiben.
Homogenität und Stabilität entsprechen dem gängigen Sortenverständnis; sie werden vom Gesetzgeber für vollwertige, kommerzielle Sorten gefordert (DUS Kriterien), und sie erlauben dem Züchter seine Sorte mit Eigentumsrechten zu belegen und sie so vor freiem Zugang zu schützen. Aber das Gegenteil ist notwendig, damit die Landwirtschaft sich möglichst rasch an Umweltveränderungen anpassen kann.
Die Pflanzenzüchtung stellt die Weichen für eine zukunftstaugliche Landwirtschaft.
Ein Paradigmenwechsel bahnt sich an
Warum brauchen wir gerade bei unseren Kulturpflanzen genetische Vielfalt und Veränderbarkeit? Hierzu ein paar Beispiele: Pflanzen mit verschieden langen Wurzeln können beispielsweise Nährstoffe und Wasser im Boden effizienter nutzen; ebenso können Pflanzen unterschiedlicher Größe und Form das Licht besser aufnehmen. Auch die variierende Widerstandsfähigkeit einzelner Pflanzen gegenüber Pflanzenkrankheiten hilft dem Pflanzenbestand als Ganzes, sich besser und dauerhafter gegen diese zu schützen. Unterschiedlichkeit und Veränderbarkeit befähigen Pflanzen dazu, Anpassungslösungen für unerwartete Situationen zu finden. Dadurch können sie auf Umweltveränderungen besser reagieren und das Risiko von Ernteausfällen mindern.
Populationen passen nicht zu bestehenden Gesetzen
Für die Pflanzenzüchtung bedeutet dies, anstelle von reinerbigen Liniensorten sogenannte Populationen zu entwickeln, die ein hohes Maß an genetischer Vielfalt aufweisen. Das Problem dabei ist, dass diese nicht so gut beschreibbar und unterscheidbar sind. Daher entsprechen sie auch nicht den gesetzlichen Anforderungen der Sortenanerkennung und sind von der Vermarktung ausgeschlossen. Denn bisher können nur zugelassene Sorten in den Verkehr gebracht werden, die sich einem mehrjährigen und kostenintensiven Prüfungsprozess unterzogen und dann registriert wurden.
Allerdings hat die Politik die Bedeutung von Populationen für die Zukunft der Landwirtschaft erkannt. In der EU werden derzeit erstmalig Populationen von Mais, Weizen, Gerste und Hafer zu Versuchszwecken zugelassen. Eine vor kurzem verabschiedete Verordnung für die Ökologische Landwirtschaft erlaubt, dass „heterogenes Pflanzenmaterial“ im Ökolandbau verwendet und verbreitet werden darf. Mit dieser Neuregelung kann eine genetisch vielfältige Population nach kurzer Prüfung durch das Bundessortenamt in Verkehr gebracht werden und die pflanzengenetische Vielfalt kann auf den Acker zurückkehren.
Populationen wie der Winterweizen EQuality sind nicht so leicht beschreibbar.
Neue Methoden zur Beschreibung von Populationen
Die Umsetzungsbestimmungen dieser Verordnung werden gegenwärtig erarbeitet, damit sie 2021 in Kraft treten kann. Um einen Punkt wird dabei noch gerungen: Wie ist es möglich, unterschiedliche Einzelpflanzen als zu einer Population gehörig zu identifizieren und zu beschreiben? Für Fachleute ist dies ist ein spannendes neues Forschungsthema, mit dem sich auch Sophie Steigerwald von OpenSourceSeeds in ihrer Masterarbeit beschäftigte. In einem Feldversuch verglich sie mehrere Populationen mit homogenen Liniensorten von Weizen. Ihr Ziel war, Merkmale zu identifizieren, mit denen sich auch eine Population gut charakterisieren und abgrenzen lässt. Sie konnte nachweisen, dass über die Häufigkeit von Merkmalsausprägungen einzelner Pflanzen die Population als Ganzes eindeutig beschreibbar und abgrenzbar ist. Im Rahmen der Masterarbeit konnte Sophie nicht untersuchen, inwieweit sich bei Veränderung der Eigenschaften über mehrere Anbauzyklen die Population als solche identifizierbar und unterscheidbar bleibt. Aber auch dafür gibt es Lösungen. Ein Vorschlag von Sophie ist, die Identität der Population über die Dokumentation von Saatgutverkäufen sicherzustellen [2].
Populationen und open source gehören zusammen
Die eindeutige Identifikation von Populationen ist also möglich – allerdings nicht im Rahmen der strengen DUS-Kriterien, die für den Sortenschutz eingehalten werden müssen. Mit der Nutzung von heterogenem Saatgut stellt sich daher auch die Frage des Schutzes neu. Als Alternative zum Sortenschutz bietet sich hier die Open Source Lizenz an. Sie sichert den freien Zugang zu Saatgut und ermöglicht so die ständige Weiterentwicklung durch Züchter*innen an unterschiedlichsten Standorten, sodass die Populationen vielfältig und veränderbar bleiben. Open Source Lizenz und Populationen sind zwei Bausteine, die zusammen Teil des Fundaments für eine zukunftsfähige Landwirtschaft sind.
Quellen:
[1] Dürremonitor des UFZ für 2020 [Link]
[2] Steigerwald, S.: Entwicklung einer Methode zur Beschreibung von heterogenem Pflanzenmaterial am Beispiel von vier Weizen (Triticum aestivum) Composite Cross Populationen. Leipzig, 2020.