Ein Brot für freies Saatgut

Allemand

Unser Projekt schafft durch die Verbindung von traditionellem Backhandwerk und regionaler Wertschöpfung ein Bewusstsein für Saatgut als Gemeingut. | 17. Mai 2021 | von Bella

Freiheit und Schwarzbrot geht über alles, sagt der Volksmund. Tatsächlich ist kein Lebensmittel im Deutschen ein so allgegenwärtiges Symbol für Überleben, Freiheit und Gerechtigkeit wie das Brot. Kein Wunder also, dass wir sofort Verbündete fanden, als wir vor drei Jahren den Grundstein für das Projekt »Ein Brot für freies Saatgut« legten. Seitdem hat die Kampagne dutzende Menschen zusammengebracht und unzählige zum Nachdenken angeregt – über das Backhandwerk, regionale Kreisläufe und nicht zuletzt Saatgutpolitik. Dieses Jahr bekommt das Projekt einen brandneuen Ableger im Rheinland. Von den ersten Gesprächen bis zum fertigen Brot wird kaum ein Jahr vergangen sein, doch diesem Sprung ging eine lange und lehrreiche Pionierphase voraus.


Auf einer Veranstaltung des Ernährungsrats Köln wurde der Grundstein für das neue Brotprojekt gelegt.

Die Hauptstadt als Experimentierfeld

Die Backstube, Le Brot, Albatross, Mehlwurm und die Backpfeife – am Anfang waren es nur eine Handvoll kleiner Berliner Bäckereien mit fantasievollen Namen. Trotz ihres enormen täglichen Arbeitspensums konnten wir diese fünf überzeugen, sich auf unser Konzept einzulassen: Ein open-source-Brot, das die Idee des freien Saatguts raus aus den Kreisen der Fachleute bringt, direkt auf den Frühstückstisch der Stadtbevölkerung.

Doch dem Tag, an dem das erste knusprige Brot über die Theke gereicht wurde, ging eine Menge Arbeit voraus. Die Bäckereien waren die letzte Station einer Reise, deren Konstante der Weizen Convento C ist. Dieser Weizen ist in doppelter Hinsicht ungewöhnlich. Erstens handelt es sich bei ihm um eine Population, sodass er genetisch vielfältiger ist. Ein Konzept, das für Züchtung und Landwirtschaft eine große Chance darstellt, gelegentlich aber auch herausfordernd ist. Mehr dazu im Blog zu Populationen. Zweitens ist er natürlich open-source-lizensiert. »Saatgut trägt den Charakter des Gemeingutes und muss vor Patentierung und Genmanipulierung geschützt werden«, sagt Züchter Hartmut Spieß. Er findet es gut, dass sein Weizen zum Symbol für die Notwendigkeit von freiem Saatgut wird.


Viele müssen anpacken, damit ein Brot auf dem Tisch landet, u.a. Projektkoordinator Adrien Labaeye, Landwirt Gerhard Moser und die Mitarbeiter einer Berliner Bäckerei (v.l.n.r.).

Das hat auch Gerhard Moser überzeugt, der sich als erster Landwirt dazu entschied, für das Projekt Getreide anzubauen. Müller Dirk Paulick setzt sich besonders für regionale Kreisläufe ein und übernahm gerne die Aufgabe, von seiner Mühle in Brandenburg aus die Berliner Bäckereien zu beliefern.  Züchter, Landwirt und Müller waren also dabei. Aber wie kam die Idee bei den Konsument*innen an?

Wie massentauglich ist open-source?

Dazu gibt es inzwischen erste empirische Daten. Wissenschaftler*innen der Universität Oldenburg gingen in einer Studie der Frage nach, was Konsument*innen von open-source Produkten halten. [1] Sie probierten in einer Befragung aus, wie gut verschiedene Erklärungsansätze funktionierten. Dabei traf das Thema Biodiversitätsverlust auf gute Resonanz, besonders bei jenen, die selbst gärtnerten oder sich noch an Sorten erinnern konnten, die heute nicht mehr verfügbar sind. Auch mit dem Thema Privatisierung von Saatgut erreichten die Forscher*innen viele Menschen, vor allem diejenigen, die den Einfluss großer Agrarkonzerne auf die Lebensmittelversorgung bereits vorher kritisch sahen. Alles in allem zeigte die Untersuchung, dass die meisten Befragten das Konzept sehr positiv bewerteten.


In der Befragung waren die Themen Nutzpflanzenvielfalt sowie Privatisierung von Saatgut besonders überzeugend. Solche Erkenntnisse fließen natürlich in unsere Öffentlichkeitsarbeit ein, zum Beispiel in unseren aktuellen Flyer oder das Plakat zur Brot-Kampagne.

Durch Aktionen wie das Brot-Projekt wächst das Bewusstsein für die Saatgut-Thematik in der Bevölkerung immer weiter. Das schafft Rückhalt für uns und andere, um wirksame Lobby-Arbeit für eine Gemeingüter-orientierte Pflanzenzüchtung leisten zu können. Zusätzlich kann der vielzitierte »Kassenbon als Stimmzettel« sogenannte Pull-Effekte erzeugen, vereinfacht gesagt: die Nachfrage macht's. Die Verbraucher*innen unterstützen durch ihre Kaufentscheidungen ganz unmittelbar die Finanzierung von Saatgut als Gemeingut (hier geht's zum Papier).

Brot mit Botschaft

Inzwischen ist das Projekt »Ein Brot für freies Saatgut« den Kinderschuhen entwachsen. In Berlin haben Backstube und Co. Gesellschaft bekommen: Die Demeter-Bäckerei Märkisches Landbrot, selbst schon lange aktiv für regionale Ernährungskreisläufe und die Rekultivierung alter Sorten, hat Convento C anbauen lassen und damit im April 2021 eine eigene Kampagne durchgeführt. Insgesamt verarbeitete die Bäckerei über acht Tonnen open-source-Getreide in 12 Brotsorten. Der Weizen für 2022 wächst bereits.


Das Plakat verrät's: Hier gibt es open-source-Brot aus der Berliner Großbäckerei, die täglich frisch Getreide mahlt. (Foto: Märkisches Landbrot)

Auch ein Hof im Rheinland hat dieses Jahr erstmalig Convento C angebaut. Gemeinsam mit dem Ernährungsrat für Köln und Umgebung schaffen wir dort eine regionale Wertschöpfungskette, in deren Mittelpunkt der open-source-Weizen steht. Ab September wird hier das erste Brot gebacken.

Und wir sind längst nicht mehr allein mit der Idee: Die Universität Kassel, das Kompetenzzentrum Ökologischer Landbau Baden-Württemberg (KÖLBW) und die Freien Bäcker e.V. haben sich zum Forschungsprojekt BAKWERT zusammengetan, dass heterogene Weizenpopulationen in ökologischen Wertschöpfungsketten fördern soll. Die beteiligten zehn Landwirte, drei Mühlen und zwölf Bäckereien verarbeiten unter anderem den neu gezüchteten Weizen EQuality, der ebenfalls open-source-lizenziert ist.

Durch solche Projekte erlebt das Brot eine Wiedergeburt als Symbol für Freiheit und Selbstbestimmung und verbindet Bewährtes wie regionale Kreisläufe und traditionelles Backhandwerk mit Modernem wie wissenschaftsbasierter Pflanzenzüchtung und der open-source-Lizenz. Das Ergebnis ist alt und neu zugleich: Saatgut als Gemeingut, das erneut seinen Platz in der Mitte der Gesellschaft findet.


Das Projekt BAKWERT arbeitet mit heterogenen Populationen wie dem open-source-Weizen EQuality.

Quellen:

[1] Kliem, Wolter, Sievers-Glotzbach: Consumer perceptions and Evaluation of the Open Source Seeds Licence. Oldenburg, 2021. (vorgestellt auf der International Conference on Breeding and Seed Sector Innovations for Organic Food Systems)